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Corona-Pandemie Vor einem Jahr wurde Ischgl zum Sinnbild eines Infektionsherds. So geht es dem Ski-Ort heute

Kitzloch in Ischl
Das Kitzloch in Ischgl: Ein Kellner der Après-Ski-Bar galt als erster offizieller Corona-Fall des Wintersport-Orts
© Johann Groder / Picture Alliance
Ischgl kennt inzwischen fast jeder, zumindest als Synonym für die Verbreitung des Coronavirus. Ein Jahr danach sind die Folgen von damals immer noch zu spüren - in mehrfacher Hinsicht.

Der 7. März 2020: Borussia Dortmund gewinnt mit 2:1 vor 54.000 Zuschauern bei Borussia Mönchengladbach. In Deutschland sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts 795 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. In Ischgl in Österreich bekommt ein deutscher Kellner der Après-Skibar "Kitzloch" sein Testergebnis: positiv. Der 36-Jährige galt als der erste in Ischgl festgestellte Fall. Aber schon zuvor gab es Hinweise. Nach Island zurückgekehrte Wintersportler führten ihre Infektionen auf den Urlaub in Österreich zurück. Island erklärte Tirol Anfang März zum Risikogebiet.

Spätestens an jenem 7. März beginnt die gewohnte Welt von Ischgl zusammenzubrechen. "Erst war alles ganz weit weg, dann plötzlich ging der Hurrikan los", erinnert sich Tourismuschef Andreas Steibl. Das einstige Bergbauerndorf mit riesigem Skigebiet und vielen Après-Ski-Bars ist ein Jahr später eine touristenfreie stille Kommune und gehört ganz den 1600 Einwohnern. Der Ort hat seine 45 Lifte – obwohl es seit Dezember erlaubt wäre – nie gestartet. "Wir hatten bis heute keinen einzigen Skitag", sagt Steibl.

Ischgl ist ein schwieriges Thema

Das wird auch so bleiben. Der Ort hat jüngst auch den Rest der Wintersaison abgehakt. Grundsätzlich gehe es darum, die Marke Ischgl wieder positiv zu besetzen. "Maximale Sicherheit geht vor", ist die neue Devise. Der Ort mit seinen 10.000 Gästebetten hat Konzepte für einen, wie er meint, sicheren Urlaub ausgearbeitet. Das wilde Feiern soll künftig von einem dosierten Vergnügen abgelöst werden. Viele, die Ischgl gut kennen, verbinden den Ort ohnehin auch mit hochkarätiger Hotellerie und Spitzenküche.

Ischgl ist ein schwieriges Thema. Seine Rolle bei der Verbreitung des Virus ist unbestritten. Tausende Fälle sollen europaweit auf eine Ansteckung in Ischgl zurückzuführen sein. Der Verbraucherschutzverein (VSV) in Wien hat die Vollmacht unter anderem von rund 1000 deutschen Ischgl-Urlaubern, um wegen der Fehler im Krisen-Management auf Schadenersatz zu klagen. Am 9. April startet in Wien der erste Prozess, in dem es um den Corona-Tod eines österreichischen Journalisten geht, der sich in Ischgl infiziert haben soll.

Auf der anderen Seite fühlen sich viele Ischgler und Tiroler nicht fair beurteilt. Das Wissen um die Gefahr habe sich damals erst entwickelt, heißt es oft. Eine unabhängige Untersuchungskommission sprach im Oktober von folgenschweren Fehleinschätzungen. Unter anderem der Betrieb der Skibusse und der Seilbahnen sei erst mit Verspätung eingestellt worden.

Im Dorf, wo in einer normalen Wintersaison etwa 300 Millionen Euro umgesetzt werden, grassierte das Virus schon länger. Der deutsche Kellner war nach einer Analyse, an der die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) beteiligt war, eher ein Sündenbock als der wirkliche Fall 1. Schon Anfang Februar litt Ages zufolge eine 26-jährige Kellnerin der Bar an nur milden Symptomen - und ging nicht zum Arzt. Sie wurde am 9. März positiv getestet. Drei norwegische Studenten machten auf ihrer Rückreise von der Lombardei einen Stopp in Ischgl. Sie wurden am 6. März positiv getestet.

Ischgl spürt auch positive Folgen der Infektionswelle

In den Tagen darauf wurden in Ischgl erst die Après-Ski-Lokale und dann die Pisten geschlossen. Am 13. März - die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die Lungenkrankheit zwei Tage zuvor zur Pandemie erklärt - wurde das gesamte Tal für schließlich sechs Wochen unter Quarantäne gestellt. Bei der Abreise der Touristen herrschte Chaos, das wohl zusätzlich zum Export des Virus beigetragen hat.

Der Schatten dieser dunklen Wochen reicht bis in die Gegenwart. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnt gern vor einem "zweiten Ischgl", wenn er über Verbreitungsgefahren spricht. Aktuell gilt die Sorge der in Tirol verbreiteten Südafrika-Variante des Virus. Das Bundesland hat deshalb eine Test-Offensive gestartet. Der besonders betroffene Bezirk Schwaz erhält jetzt 100.000 Impfdosen, damit die Gefahr minimiert wird.

Auch auf Druck des Bundes sind obendrein seit 12. Februar Ausreisen nur noch mit negativem Coronatest möglich. Doch Deutschland hat seinerseits die Grenze zum Nachbarn Tirol bis auf Ausnahmen praktisch dichtgemacht. Vertrauen sieht anders aus.

Für Ischgl und seine Bewohner hat die Infektionswelle vom März 2020 auch positive Folgen. Damals steckten sich nach einer späteren Studie der Medizinischen Universität Innsbruck mindestens 42 Prozent der Bürger an, die meisten merkten es gar nicht. Acht Monate später wiesen noch 90 Prozent von ihnen Antikörper und damit einen wohl hohen Schutz gegen eine erneute Infektion auf. Das würde auch erklären, warum die zweite Corona-Welle im Herbst 2020 an dem Ort fast spurlos vorbeiging. Die Neuinfektionsrate lag in diesem Zeitraum bei unter einem Prozent.

rös DPA
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