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Stockender Infektionsschutz Corona in Afrika: zu viel Impfstoff, zu wenig Impfungen

Ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens verabreicht einem Mann eine Dosis des Impfstoffs Sinovac
Ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens verabreicht einem Mann eine Dosis des Impfstoffs Sinovac
© Hajarah Nalwadda / DPA
Laut einer WHO-Analyse könnten die Infektionszahlen in Afrika fast 100-mal höher sein als bislang angenommen. Ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Ein Grund dafür sind entweder zu geringe Impfkapazitäten oder ein Mangel an Impfstoff.

Während in Deutschland über das Für und Wider einer vierten Corona-Impfung debattiert wird und die Impfpflicht im Bundestag krachend gescheitert ist, stehen afrikanische Länder auch im dritten Pandemiejahr vor weit grundsätzlicheren Problemen.  

Daten der US-amerikanischen John Hopkins University zufolge wurden auf dem Kontinent bislang mehr als 11,5 Millionen Infektionen gemeldet – mehr als 250.000 verliefen tödlich. Tatsächlich könnte das Virus in Afrika aber weit verheerender gewütet haben.

Einer Analyse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge haben sich in Afrika deutlich mehr Menschen mit dem Coronavirus infiziert als bisher angenommen. Wie Matshidiso Moeti, Regionaldirektorin der WHO, am Donnerstag mitteilte, könnten sich inzwischen mehr als zwei Drittel der Bevölkerung angesteckt haben. Die offiziellen Fallzahlen spiegeln aber nicht das wahre Infektionsgeschehen wider: Die tatsächlichen Zahlen seien laut einer noch unveröffentlichten WHO-Studie wahrscheinlich 97-mal höher als die von den Gesundheitsämtern registrierten Fälle. Dies bedeute aber auch, dass ein Großteil der Menschen eine gewisse Immunität gegen das Virus haben könnte.

Corona-Impfstoff: Angebot übersteigt Nachfrage

Laut Angaben der afrikanischen Seuchenschutzbehörde (Africa CDC) wurden bislang rund 500 Millionen Impfdosen verabreicht, knapp 16 Prozent der Bevölkerung habe einen vollständigen Impfschutz erhalten. Geboostert seien lediglich 1,3 Prozent aller Afrikaner. Die Impfquote schwankt teils extrem auf dem Kontinent: Ist in Ägypten fast jeder dritte Einwohner zweifach geimpft, ist in der Demokratischen Republik Kongo nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung vollständig geschützt.

Viele afrikanische Länder hatten sich zuvor völlig zurecht darüber beklagt, dass sie bei der Impfstoffverteilung hinten angestellt wurden. Zwar wurde vergangenes Jahr fleißig Impfstoff nach Afrika geschickt – allerdings ging es dabei nur um das Abfüllen und Verpacken. Am Ende landete das Vakzin wieder in den Ländern, die für die Priorisierung bezahlt hatten (der stern berichtete).

Entsprechend hoch waren die Erwartungen, als die globale Corona-Impf-Initiative Covax die sehnlich erwarteten Lieferungen hochfuhr. Doch entpuppte sich die Hoffnung auf eine zügige Immunisierung der Bevölkerung als mittelschwere Enttäuschung. Der Grund: Impfstoff gibt es inzwischen genug, doch landet der nicht immer bei den Menschen.

Zwar steigt laut einem Bericht des Nachrichtenportals "Bloomberg" die Quote auch dank zunehmender Massenimpfungen. Nachdem Unicef und WHO Unterstützungsteams entsandt hätten, seien allein im Februar 62 Millionen Dosen verabreicht worden. Doch warten Africa CDC zufolge Anfang April ein Drittel des verfügbaren Impfstoffs offenbar vergeblich auf seine Verwendung. Das Angebot übersteigt die Nachfrage.

Einem Bericht des "Economist" zufolge protestieren einige afrikanische Nationen mittlerweile nicht mehr gegen den Versorgungsengpass, sondern beschweren sich vielmehr, dass sie im Impfstoff ertränken. Im Februar habe das Africa CDC die Zulieferer sogar gebeten, den Vakzin-Export nach Afrika zu staffeln. Schuld seien neben der fehlenden Logistik die überforderten Gesundheitsämter, die Biontech, Moderna und Ko. nicht so schnell verimpfen könnten, wie es reinkäme. Abstrus wird es beim Beispiel der Demokratischen Republik Kongo: In dem zentralafrikanischen Land steht nur Impfstoff für fünf Prozent der Bevölkerung bereit. Von diesem Vorrat sind gerade einmal 16 Prozent verbraucht.

Auch sehe man eine Stadt-Land-Schere. Wie der "Economist" unter Berufung auf die Nichtregierungsorganisation "Amref Health Africa" berichtet, hat auch das teilweise logistische Gründe. So gebe es zum Beispiel in ländlichen Regionen nicht ausreichend Gefrierschränke, um die Impfstoffe fachgerecht zu lagern. Ein großes Problem stelle aber weiterhin mangelnde Aufklärung der Bevölkerung dar.

Corona in Afrika: Problem zweiter Klasse?

Den reinen Zahlen nach zu urteilen, müsste Corona auf dem afrikanischen Kontinent, insbesondere in den ärmsten Regionen, verheerende Folgen gehabt haben. Doch ist offenbar das Gegenteil der Fall.

Wie die "New York Times" Ende März berichtete, wird das von der Afrikanischen Union vorgegebene Ziel, bis Ende dieses Jahres 70 Prozent der Bevölkerung gegen Covid zu impfen, inzwischen heftig debattiert. Für einige Regierungen sei das Virus schlicht nicht das drängendste Problem, füllten sich die Intensivstationen doch vor allem mit Malaria-Patienten. Zwar seien im vergleichsweise wohlhabenden Südafrika viele Menschen dem Virus zum Opfer gefallen. Auf dem übrigen Kontinent seien die Todeszahlen aber durchweg gering geblieben.

Einige Experten glaubten, so die US-Zeitung, dass dies an der jungen Bevölkerung liegt. Im Durchschnitt seien Afrikaner 19, Europäer hingegen 43 Jahre alt. Dementsprechend klein sei hier die Risikogruppe. Zudem verliefen Corona-Infektionen bei jungen Menschen nicht selten asymptomatisch – weshalb sie gar nicht erst in den Statistiken auftauchen. Auch hohe Temperaturen, geringe Bevölkerungsdichten und das Stattfinden des öffentlichen Lebens im Freien würden als mögliche Ursachen für die niedrigen Fallzahlen gehandelt. Doch sind das alles letztlich nur Spekulationen.

Man erinnere sich: Wenn es nach US-Präsident Joe Biden geht, ist die Corona-Pandemie Ende dieses Jahrs endgültig Geschichte. 70 Prozent der Weltbevölkerung, so forderte er im September 2021, sollen dann vollständig geimpft sein. Doch wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, sind Ziele nur dann realistisch, wenn es konkrete Lösungen gibt. Und die fehlen in Afrika einmal mehr. So bleibt es ein ungleicher Schutz für alle.

Weitere Quellen: "New York Times"; "Economist"; "Africa CDC"; AFP

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