Kennen Sie das Gefühl, nach Feierabend völlig ausgelaugt zu sein und erschöpft aufs Sofa zu fallen – obwohl Sie den ganzen Tag eigentliche “nur“ auf ihrem Bürostuhl gehockt haben? Während es bei körperlicher Arbeit oftmals als normal angesehen wird, wenn man abends müde ist, wundern sich viele Bürojobber mitunter über das abendliche Tief.
Aber ja – auch Denken macht uns irgendwann müde. Eine aktuelle Studie, die in der Fachzeitschrift “Current Biology“ veröffentlicht wurde, zeigt nun, was uns geistige Arbeit kostet.
Das französische Forschungsteam um Antonius Wiehler vom Paris Brain Institute ließ dafür 40 Teilnehmende verschiedene Aufgaben am Bildschirm lösen. Mal mussten sie Buchstaben nach Farben sortieren, mal nach Vokal und Konsonant. Zum Setting gehörten außerdem Gedächtnisübungen.
Die Forscher ließen ihre Probanden dabei nicht hunderte, sondern tausende dieser Tests in zwei unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden absolvieren, um eine Ermüdung zu erreichen.
Erschöpfung: Wie lange können wir denken?
"Nach sechs Stunden gaben unabhängig von der Schwere der Aufgabe beide Gruppen an, dass sie sich erschöpft fühlen", sagte Antonius Wiehler, Erstautor der Studie und Verhaltensforscher am Paris Brain Institute bei der Vorstellung der Studie, das könne aber grundsätzlich auch daran liegen, dass wir darauf konditioniert seien, uns nach einem Arbeitstag erschöpft zu fühlen.
Nun ist das Pariser Forschungsteam nicht die erste Gruppe, die sich dem Phänomen der Denkmüdigkeit annimmt. Bereits vor einigen Jahren konnten Wissenschaftler zum Beispiel herausfinden, dass der laterale präfrontale Cortex bei intensivem Denken und wichtigen Entscheidungen eine große Rolle spielt.
Warum das Ganze dann allerdings manchmal zu Erschöpfung und Konzentrationsstörungen führt, das ist bislang nur wenig erforscht.
Glutamat macht uns das Denken schwer
Also haben sich die Pariser Wissenschaftler mit einer speziellen Magnetresonanzspektroskopie einmal angeschaut, was bei geistiger Arbeit im Gehirn passiert. Das Ergebnis: Glutamat macht uns das Denken schwer. "In den Gruppen, die die schwierigeren Aufgaben lösen mussten, stieg die Glutamat-Konzentration über die Zeit deutlich mehr an“, erklärt Wiehler.
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Für viele Jugendliche hat das Tagebuchschreiben einen festen Platz im Alltag. Man notiert, was einen beschäftigt, wie es einem geht und wovon man träumt. Je älter wir werden, desto eher hören wir allerdings damit auf, unsere Gedanken zu Papier zu bringen. Dabei kann so ein Tagebuch echt hilfreich sein. Wer seine Gedanken aufschreibt, der schafft Platz im Kopf. Das hilft vor allem dann, wenn man im Gedankenkarussell gefangen ist oder sich nicht konzentrieren kann, weil ständig neue Tabs im Kopf aufploppen. Außerdem reflektieren wir unsere Gedanken und Erlebnisse noch einmal, wenn wir sie aufschreiben. Das kann uns helfen, den Blick zu weiten und neue Perspektiven einzunehmen. Das Tagebuch kann also helfen, zu neuen Erkenntnissen zu kommen, sich selbst besser kennenzulernen und Struktur ins Gedankenchaos zu bringen. Und wenn man sich daran mal nichtmehr erinnern kann, dann hat man es ja sogar schriftlich.
Die Aminosäure Glutamat ist eine der wichtigsten Botenstoffe im Gehirn und kann nicht nur Konzentrationsstörungen hervorrufen, sondern auch Kopfschmerzen und Herzrasen. In hohen Konzentrationen wirkt Glutamat allerdings toxisch. Grund genug für unseren Körper, den Glutamathaushalt im Normalfall aktiv zu regulieren. Wenn wir allerdings intensive geistige Arbeit leisten, fällt der Ausgleich offenbar schwer.
Wenn Glutamat die Kontrolle übernimmt
Und was, wenn das Glutamat Überhand gewinnt? Das Forschungsteam hat da eine Vermutung: Wenn die vordere Großhirnrinde zu viel Glutamat produziert, dann wird es schwerer, Nervenzellen zu aktivieren. Eigentlich ist der Bereich im Gehirn dafür zuständig, Gefühle zu regulieren, Handlungen zu planen und die Selbstkontrolle aufrecht zu erhalten. Ein Glutamat-Überschuss führt also zu Erschöpfung und mangelnder Selbstkontrolle.
Was das für unseren Alltag bedeutet, hat Antonius Wiehler ebenfalls mit der Studie dargestellt: Er stellte die Probanden vor die Wahl: "Möchten sie jetzt 20 Euro, oder in einem Jahr 50 Euro?" Die Teilnehmenden, die die kognitiv schwierigeren Aufgaben lösen mussten, haben sich tendenziell für das schnelle Geld entschieden, während die andere Gruppe langfristiger dachte.
Wiehlers Fazit: "Bei einsetzender kognitiver Ermüdung entscheiden wir uns für einfachere Vorgänge oder Handlungen, die zum Beispiel keine Anstrengung oder Warten erfordern."
Glutamat macht müde – oder?
Insgesamt zeigt die Studie, dass Glutamat eine Rolle bei kognitiver Erschöpfung spielt. Fritjof Helmchen vom Institut für Hirnforschung der Universität Zürich sagte im Gespräch mit "Spektrum" dazu: "Es ist zwar nicht klar, ob ein erhöhter Glutamatgehalt ursächlich zu einer schwindenden Nervenaktivität in der vorderen Großhirnrinde führt. Die Studie zeigt aber, dass beides miteinander zusammenhängt."
Ein geringer Anstieg des Glutamatspiegels unter gezielter Anregung ist für den Neurophysiker Harald Möller vom Max-Planck-Institut hingegen nichts Neues. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur verweist er darauf, dass der Botenstoff nach Beendigung der Stimulation auch schnell wieder abfalle. Deshalb hätten die französischen Forscher seiner Ansicht nach auch den Glutamatanteil während Ruhephasen messen müssen, um ein ganzheitliches Bild zu haben.
So oder so – Glutamat spielt eine Rolle, wenn wir vom Bürostuhl direkt aufs Sofa wollen. Und laut den Pariser Wissenschaftlern ist es auch das, was unseren Glutamathaushalt in Balance bringt: Eine große Portion Schlaf.
Quelle: Studie von Antonius Wiehler und Kollegen, Artikel auf "Spektrum.de",