Anzeige

Freundschaftskummer Friendship Break-Ups: Warum Trennungen in Freundschaften genauso schmerzen wie in Partnerschaften

Frau tröstet eine andere Frau
Freundschaften können genauso stark und tief sein wie eine Paarbeziehung. Mit dem Ende einer Freundschaft verliert man oft eine der wichtigsten Bezugspersonen im Leben – Trennungsschmerz, quasi Freundschaftskummer, gehört dazu.
© Westend61 / Imago Images
"Unterschätzten Herzschmerz" nennt die Dichterin Rupi Kaur das Gefühl nach einem Friendship Break-Up. Während Liebeskummer Gegenstand von Filmen, Romanen und Liedern ist, wird über das Ende von Freundschaften kaum gesprochen. Dabei können Trennungen von Freundschaften mit genauso großem Schmerz verbunden sein.

Manchmal denke ich noch uns. An den Abend, als wir im Keller meines Vaters aus seinem Schnapsregal heimlich unsere erste Flasche Baileys getrunken haben – und sie anschließend mit Vodka und Kekskrümeln aufgefüllt haben, damit niemand Verdacht schöpft. An die vielen Nächte, die wir in den Sommerferien im Garten unter den Sternen geschlafen und kichernd unsere ersten Instagram-Accounts mit Fotos gefüllt haben. An unsere erste kleine Reise nach München, nach der wir anfingen, von der großen Stadt zu träumen. Doch plötzlich gingen die Vorwürfe los: "Du bist komisch geworden" – "Du sagst mir ständig ab" – irgendwann Funkstille. Und ein Gefühl der Leere, das ich lange Zeit nicht füllen konnte.

Freundschaften sind nicht weniger intensiv als Partnerschaften

Es klingt, als würde ich von einer verflossenen Liebe schreiben. Liebe war es auch – aber eben auf freundschaftlicher Ebene. Trotzdem ist das Ende einer Freundschaft ähnlich schmerzhaft, in manchen Fällen sogar schmerzhafter, als das Ende einer romantischen Beziehung. Denn Freundschaften sind zwar platonische, aber nicht weniger intensive Beziehungen. "Die Übergänge von Partnerschaft zu Freundschaft sind mehr oder weniger fließend", erklärt Ulrike Scheuermann, Psychologin und Autorin des Buches "Freunde machen gesund". Soziale Beziehungen seien selten so klar abgegrenzt und genau definiert, wie man es sich allgemeinhin vorstelle. "Eine Freundschaft kann tiefer und vertrauter sein, weil man zum Beispiel mehr und Gefühle und Persönliches teilt als in einer Partnerschaft", beschreibt die Expertin. Das erklärt, warum eine Trennung in einer Freundschaft mit dem gleichen Liebeskummer einhergehen kann wie das Ende einer romantischen Beziehung. "Tiefe Freundschaften verkörpern innigen, emotionale Nähe. Entsprechend groß ist der Trennungsschmerz", sagt Ulrike Scheuermann.

Zwei junge Frauen streiten sich
Manche Freundschaften laufen aus, andere enden mit einem Konflikt. "Es kann sein, dass schwierige Gefühle wie Eifersucht und Neid eine Rolle spielen", sagt Ulrike Scheuermann.
© Westend61 / Imago Images

Die Nähe, auf der tiefe Freundschaften aufbauen, erwächst vor allem aus gemeinsam verbrachter Zeit und räumlicher Nähe. Beispielsweise gehen Menschen, die weniger als eine halbe Stunde voneinander entfernt leben, häufiger Freundschaften ein und halten diese eher aufrecht als Menschen, die weiter voneinander entfernt wohnen. Bereits ein Umzug kann also neben der räumlichen auch emotionale Distanz in Freundschaften bedeuten. Der Haupt-Faktor ist laut Ulrike Scheuermann jedoch die soziale Zeit und "das, was man erlebt in der gemeinsamen Zeit". Denn dabei sammele man "so starke und emotional intensive Erinnerungen, dass sehr viel Nähe und Tragfähigkeit entstehen kann".

Unterschätzer Herzschmerz

Die meisten Freundschaften enden still. Entwicklungen gehen in unterschiedliche Richtungen – man lebt sich auseinander. "Lebensumstände und -Situationen können sich so verändern, dass es zu dem, wie die Freundschaft bisher war, nicht mehr passt", erklärt die Psychologin. Wenn Freunde es nicht schaffen, oder nicht schaffen wollen, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen, läuft die Beziehung aus. Wenn dieser Prozess einvernehmlich passiert, gehen meist keine großen Emotionen mit dem Ende der Freundschaft einher. Schwieriger wird es, wenn einer von beiden an der Freundschaft festhalten will. "Wenn sich die eine Person viel mehr wünscht, wird es traurig oder schmerzhaft", sagt die Autorin. In solchen Fällen kommt es eher zu Streit und dem "großen Knall", der meist das jähe Ende der Freundschaft bedeutet. "Das sind letztlich ungelöste Konflikte, die sich nicht mehr lösen lassen und die manchmal deutlich machen, dass es schon lange nicht mehr passt."

Die Trauer, die mit dem Ende der Freundschaft einhergeht, kann genauso wehtun wie Liebeskummer: "Es ist die Art von Schmerz / die uns nicht trifft wie ein Tsunami / es ist ein langsamer Krebs / es endet alles auf dieselbe Art / ob Freund oder Liebhaber", dichtet die indisch-kanadische Schriftstellerin Rupi Kaur in "The Underrated Heartache". Trennungsschmerz unterschiedet sich nicht, egal um welche Form der Beziehung es sich handelt. Eher ist es die Gesellschaft, die Paarbeziehungen in den Fokus rückt.

"Die Gesellschaft räumt der freundschaftlichen Beziehung nicht die emotionale Bedeutung ein, die sie eigentlich hat", sagt die Expertin. Die Familie und die Paarbeziehung gelten als eine der Säulen, auf denen die Gesellschaft aufbaut. Dementsprechend steht die romantische Beziehung an erster Stelle, "Freundschaften sind gesellschaftlich gesehen bloß ein nettes Add-on", erklärt die Psychologin. Das Auseinanderbrechen einer Paarbeziehung wird mit einem emotionalen Ausnahmezustand gleichgesetzt – es gibt sogar ein ganzes Vokabular, um das Ende einer romantischen Beziehung zu beschreiben. Liebeskummer, Herzschmerz, selbst den Begriff "Trennung" assoziierten die Menschen mit gescheiterten Paarbeziehungen.

Freunde sind wichtig für die emotionale und körperliche Gesundheit

Die starke Betonung der Partnerschaft kann – außer dass sie die Bedeutung anderer Beziehungsarten schmälert – weitere Probleme mit sich bringen. Etwa, "dass alle Wünsche, Erwartungen und Hoffnungen auf die Paarbeziehung projiziert werden", erläutert Ulrike Scheuermann. Das überfordere die partnerschaftliche Verbindung und verursache viel Leid in der Beziehung. Denn es sei nahezu unmöglich, all den Vorstellungen des Gegenübers zu entsprechen. Die "ganz hohen Erwartungen" finden eher in Paarbeziehungen statt, weniger in Freundschaften. "Und das tut den Freundschaften gut", sagt die Expertin.

"Sie verdoppelt die Freude und halbiert das Leid", schrieb der Philosoph Francis Bacon bereits 1625 über Freunde.
"Sie verdoppelt die Freude und halbiert das Leid", schrieb der Philosoph Francis Bacon bereits 1625 über Freunde.
© Westend61 / Imago Images

Dennoch erfüllen Freunde zahlreiche menschliche Bedürfnisse. Sie dienen als seelische und emotionale Stütze, gehören zu den wichtigen Lebensgefährten und können sich wie eine Familie anfühlen. "Freunde sind wie Brüder und Schwestern, mit denen wir zwar nicht genetisch, aber über das Herz verbunden sind", sagte der Psychoanalytiker Saverio Tomasella im Gespräch mit der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen. Freundschaftliche Verbindungen zeichnen sich durch "etwas ganz Besonderes, Tiefes, Authentisches und Persönliches" aus, so Tomasella. Aus wissenschaftlicher Sicht sind Freundschaften genauso wichtige Bindungen wie romantische Beziehungen.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Freunde auch körperlich gesund halten. Sie senken das Risiko für Bluthochdruck und Depressionen und können sogar das Leben verlängern. Das zeigte unter anderem eine Untersuchung eines Freiburger Psychologieprofessors aus dem Jahr 2003, über die das Wissenschafts-Portal "Spektrum" berichtete. Um dasselbe Thema dreht sich auch das Buch von Ulrike Scheuermann, in dem sie unter anderem auf die bekannte Langzeit-Studie der Harvard University verweist. Dabei handelt es sich um die größte langfristige Studie, die sich unter anderem mit der Frage befasst, was das Wohlbefinden des Menschen positiv beeinflusst. Die Erkenntnis der Forscher: An erster Stelle stehen soziale Beziehungen. Deshalb sei es, auch aus gesundheitlichen Gründen, wichtig, sich um mehrere Freundschaften zu bemühen und mehr als eine nahe stabile Beziehung zu führen, betont die Expertin.

Friendship Break-Ups: Trauer verarbeiten nach dem Freundschafts-Aus 

Zudem können Freundschaften ein positives Selbstbild vermitteln, das den Menschen in seinem Wert bestätigt. "Und zwar deshalb, weil man mit Freunden freiwillig zusammen ist, sie sich wirklich aussucht", erklärt Ulrike Schauermann. Allein das Wissen, dass eine Person bewusst befreundet sein möchte, verbessere das Selbstwertgefühl. Jedes Mal, wenn der Freund oder die Freundin Zeit zusammen verbringen will, erlebe man dies als weitere Stärkung des Selbstwertgefühls. Bricht die Freundschaft hingegen weg, erfährt der Selbstwert einen Knacks. Die eigene Identität wird zu einem großen Teil von den Menschen im persönlichen Umfeld definiert und geprägt. Fehlt plötzlich ein Freund oder eine Freundin, könne dies eine Leerstelle hinterlassen, die emotionale Schmerzen verursacht. Diesen zu verarbeiten, braucht vor allem Zeit, sagt Ulrike Scheuermann.

Man müsse die schwierigen Emotionen durchleben und aushalten. "Allerdings in dem Wissen, dass diese belastenden Gefühle nie dauerhaft und in gleicher Intensität anhalten." Mit der Zeit werde die Trauer weniger und aushaltbarer. Erleichterung können auch Gespräche mit anderen Personen, mit "Menschen, bei denen man aufgefangen wird", verschaffen. Indem man alle Aspekte der Beziehung nach und nach durchgeht, darüber erzählt und Erinnerungen teilt, könne man das Ende der Freundschaft besser verarbeiten. Dazu sollte man, selbst wenn man im Konflikt auseinanderging, auch die positiven Seiten hervorheben und die einstige Verbindung wertschätzen. Dabei können auch Rituale helfen. Ulrike Scheuermann empfiehlt beispielsweise einen Abschiedsbrief zu verfassen – unabhängig davon, ob man diesen am Ende abschickt oder nicht. "Wenn man den Schmerz überwunden hat, kann in die Leere hinein etwas Neues entstehen", sagt die Autorin. Wenn eine Person geht, entsteht Platz für jemand neues – das könne auch etwas Tröstliches haben.

Freundschaften möglichst immer im persönlichen Gespräch beenden

Findet man sich selbst hingehen in der Situation wieder, dass man eine Freundschaft beenden möchte, rät Ulrike Scheuermann immer zu einem persönlichen Gespräch. Dazu sollte man sich als Freund oder Freundin verpflichtet fühlen. "Man sollte es der anderen Person mitteilen, und wenn möglich, auch verständlich machen, warum man die Beziehung beendet", sagt die Expertin. Ghosting sei der absolut falsche Weg und für den Betroffenen in der Regel sehr schlimm. Wenn man sich nicht leichtfertig trennt, sondern die Entscheidung wohl überlegt getroffen hat, solle man kein schlechtes Gewissen hegen. "Es ist völlig in Ordnung, sich in zu lösen. Es gibt keine Verpflichtung, die Freundschaft aufrechtzuerhalten", stellt die Psychologin klar.

Dass Beziehungen sich verändern und man sich voneinander entfernt, sei etwas völlig Normales. Das muss aber nicht immer das Ende der Freundschaft bedeuten. Manchmal rücke eine Freundschaft auch schlicht in den Hintergrund. "Vielleicht findet man dann eine neue Umgangsform oder vielleicht lebt die Freundschaft nach Jahren sogar wieder auf – das ist alles möglich", sagt Ulrike Scheuermann. Und: freundschaftliche Elemente tauchen in fast allen Arten von Beziehungen auf. In einer Partnerschaft, zwischen Eltern und Kindern, unter Kollegen und in der Nachbarschaft. "Es wäre sehr schön, wenn Freundschaften mehr beachtet und höher gewertet würden", findet die Expertin.

Quellen: Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen, "Spektrum", "TAZ"

VG-Wort Pixel